Rhizom_18

Mythos Marke. Marke Mythos.Bemerkungen zum Weltbild der Kommunikation. Seit längerem schon weht durch die Verkaufsmethoden der deutschen Autoindustrie ein mythischer, ein ferner Klang. Schöne Autos in schönem, fremdartigem Licht.  Visionsluft, aus dem Geist einer bereits alles besitzenden spirituellen Abgeklärtheit. Autoverkäufer galten lange nicht viel in der Hierarchie der Kaufleute. Nun sind sie Philosophen, Seelenkundige, ja Seelsorger. Sie gleichen Galeristen, die Kunstwerke nicht verhökern, sondern sie ihren Kunden wie Orden verleihen. Das Walhalla der Automobile, einen Ort, an dem sich pantheistische Verehrung und Auto-Anbetung harmonisch verbinden, hat Volkswagen in Wolfsburg am Mittellandkanal geschaffen. Die alte Fabrik aus der Nazizeit besitzt eine düstere Gewalt, sie verkörpert die Machtgebärde, die der Industrie wohl ansteht und die ihr freilich auch entspricht. Aber die neue Autostadt, die zugleich mit der Weltausstellung in Hannover geplant wurde, sie in mancher Hinsicht übertrifft und sie bei weitem überdauern wird, ist ein Garten Eden, in dem der Klapperstorch die Autos aus sich öffnenden Seerosen der japonisierenden Gewässer pflückt. Alte Weiden, Erlen und Eiben grünen in dem weit ausgebreiteten Hain, der sich im Winter auch bei frühlingshaften Temperaturen in eine künstliche Schneelandschaft verwandelt, denn im Paradies herrschen selbstverständlich andere klimatische Verhältnisse als in der gefallenen Welt. Hier gibt es keine Straßen, sondern nur verschlungene Pfade, die oft im Nirgendwo enden, um den Besucher zum Philosophieren anzuregen. Da blickt er dann auf die im Gelände verstreuten Tempel der Automobile und kann sie auf geradem Wege doch nicht erreichen, ein Philosophem von bedeutender Tiefe.

In diesen Tempeln werden Seat und Skoda, Lamborghini und Audi, Rolls-Royce und Volkswagen und nun auch Porsche verehrt. Lamborghini ist der Minotaurus des Wolfsburger Labyrinths. Der Pavillon, ein leicht geneigter schwarzer Kubus, der l’incubo, scheint nur einen Zweck zu erfüllen: die Besucher vor dem Lamborghini im Käfig zu beschützen … Die Begegnung mit dem Lamborghini inszeniert sich in purer Emotionalität: Musik wandelt sich in den Herzschlag eines mächtigen Stiers, der in das Grollen des gewaltigen Zwölfzylinders übergeht … Feuer, Gewitter, Vulkane und Blitze … das dröhnende Getrampel einer riesigen Stierherde, scheinbar entfesselte Elemente wirken auf den Besucher ein, der am Ende die Wiedergeburt – ein in der neuen Auto-Theologie häufiger Terminus – des Diablo aus den tobenden Urgewalten erlebt. Skoda liegt im Zauberwald von Bohemia (was allerdings schöner und richtiger klingt als das fatale Tschechien), und Bentley ist höhlenhaft in die Erde gedrückt.

Wie oft bei mythischen Religionsstiftungen unterlaufen Propheten in der Fülle oft Widersprüche, die dem universalen Anspruch der Lehre aber nur dienlich sein können. Ob man sich nun bei VW im Kreislauf der ewigen Wiederkehr des Gleichen oder in der den Kreis sprengenden evolutionären Dynamik des dialektischen Prozesses sehen will, ist deshalb unerheblich. Wichtig ist nur, dass der transzendentale Zugriff vom Kunden irgendwie empfunden wird. Die innigstmögliche Verbindung zwischen Mensch und Auto ist so gestiftet.

Beim Autoverkaufen Autos zu zeigen und über Autos zu sprechen ist eben etwas veraltet. Christopher Bangle, Design-Chef von BMW, präsentierte schon vor Jahren die neuen Modelle, indem er statt Autos Balletttänzer auf die Bühne stellte. Er erklärte: „Wie man die Leute dazu bekommt, einer Reihe fahrbarer Kathedralen eine weitere hinzuzufügen, jede noch wertvoller als ihr Vorgängermodell? … Durch Emotion. Die mächtigste Motivationsquelle auf unserer Erde … für Liebe und Hass, Freude und Angst, Stolz und Reue. Wenn Sie das richtige Trio von Wörtern mit zwei Tonnen Stahl, Aluminium, Glas, Leder und Gummi kombinieren, dann erhalten Sie den emotionalen Gegenwert.“

Wer die Kommunikationswelt nicht kennt, wird vielleicht niemals begreifen, warum dies im Ganzen zum Kauf eines neuen Autos führen soll. Doch war es schon bei den einst berühmten Kaffeefahrten so, dass Rex Gildo zwar von Mexiko sang, alte Frauen aber zum Kauf von Wärmedecken und Heizkissen getrieben werden sollten. Mythen-Werbung funktioniert auf zweierlei Weise: Einerseits verwendet die Werbung Mythisierungsstrategien, um Produkt- und Markenmythen zu schaffen und kulturell zu verankern, andererseits setzt sie klassische Mythen als Motivquelle und Handlungsvorlage ein, arbeitet mit tradierten Symbolen oder aktualisiert Mythen, indem sie ihre tiefenwirksamen Schemata verwendet.Für den Einsatz von Mythen sprechen vor allem die große Überzeugungskraft und die Möglichkeit, sowohl den Einzelnen als auch die breite Masse anzusprechen und auf die langfristige Kommunikation zu setzen. Zudem überträgt diese Art der Kommunikation die mythischen Qualitäten und ihre Konnotationen auf das Produkt. Das Produkt bekommt dadurch eine unverwechselbare und starke Identität. So wie dieses Magazin. Prof. Rüdiger Quass von Deyen

Redaktion und Gestaltung: Nils Küsters, Julia Bruns, Fritz Fischer, Katharina Uhrlau, Marianne Drews, Leonie Borgmann, Jonas Wahlers, Timo Wissemborski, Max Schmieding, Iris Hammwöhner, Philipp Raffler, Anika Stieling, Mirja Finke

Projektleitung: Prof. Rüdiger Quass von Deyen, Themencoaching: Prof. Ralf Beuker, Herstellungsbegleitung: Dipl. Des. Paul Plattner-Wodarczak, Textcoaching: Hendrik Otremba. Herstellung und Kooperation: Druck+Medien Mundschenk

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