Rhizom_20

Geschmack ist ein weißer Stoff, der dem Kaffee einen schlechten Geschmack gibt, wenn man vergißt, ihn reinzutun. Wenn es uns nur einmal vergönnt gewesen wäre, mit Oscar Wilde und seinen Freunden im Ritz oder im Savoy zu Mittag zu essen! Wilde war der König des guten Geschmacks; königlich teilte er nach allen Seiten die Goldstücke seiner Maximen aus, und wir stellen uns vor, dass nur ein kleiner Teil davon in sein Werk gelangt ist. Der Geschmack war für ihn eine Waffe. Je lächerlicher der Gegenstand war, worauf er sich bezog, desto wichtiger nahm er ihn. Um ihn herum entfaltete die moderne Welt mit Fabriken und Eisenbahnen ihren Riesenapparat zur Vernichtung der Schönheit, aber die geistigen Verwüstungen durch ein puritanisches Nützlichkeitsdenken waren noch grauer und trostloser als die schwarzen Vorstädte der Armen, und die Flammen der politischen Demagogie kündigten ein noch höllischeres Feuer an als das der Tag und Nacht brennenden Hochöfen. Auch Wilde sollte Stunden kennenlernen, in denen er von der paradiesischen Einfachheit einer von singenden Kindern bevölkerten Frühlingswiese schwärmte, aber in den Jahren seiner großen Erfolge führte er seinen Geschmackskrieg mit starken Geschützen: Der metaphysischen Verarmung und der kleinbürgerlichen Banalität, die nun alle Milieus prägten, setzte er Verschwendung und eine kultische Verehrung des Erlesenen entgegen. Die Maschinen spuckten gleichförmige Sachen für Arme und Reiche aus. Deswegen ließ er nur Handarbeit aus den entlegensten Werkstätten aller Zeiten und Kulturen gelten. Blau-weiß leuchteten seine Chinavasen aus dem mystischen Dunkel seiner Salons. Brokate von uralten Priesterornaten, graugewordene und schwarzgewordene Gold- und Silberfäden lagen über den Tischen, Renaissancestühle aus Venedig, Augsburger Silberkannen, japanische Goldparavents, die hellen Marmorschenkel eines griechischen Torsos. Was menschliche Sinnlichkeit nur jemals geleistet hatte, wurde von Wilde in die Schlacht mit dem immer mächtiger werdenden universellen Grau geworfen. Aber obwohl die neuzeitlichen Bataillone so endlich viel stärker waren, als dieser auf dem Sofa liegende, rauchende Dandy, zeigten sie sich von seiner Gegenwehr empört und schockiert. Das Gelächter über diese Entrüstung der Sieger schwebte mit Taubenflügeln über dem Wilde’schen Pomp. Der einzige Geschmack, der einem Menschen wirklich Befriedigung geben kann, ist sein eigener. Recht so. Sagt Rhizom zwanzig.

Redaktion und Gestaltung: Graziella Elschker, Sina Folwaczny, lisa-Marie Fechteler, Christopher Katzenberger, Christina Lehmkuhl, Sebastian Metzing, Denise Pleger, Leonie Schäffer, Philipp Schwabe, Kira Stöter

Projektleitung: Prof. Rüdiger Quass von Deyen, Themencoaching: Prof. Ralf Beuker, Textcoaching: Hendrik Otremba, Herstellungsbegleitung: Dipl. Des. Paul Plattner-Wodarczak, Unterstützt von Druck + Medien Mundschenk

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