Rhizom_27

Was ist eigentlich … normal?

Eine wirklich schwierige Frage. Vor allem in einer Zeit, in der nur eins zählt: außergewöhnlich zu sein. Längst ist das Abweichen von der Norm zur Norm geworden. Alles Mögliche wollen wir sein, nur auf keinen Fall normal. Normal – klingt nach Gewohnheit, nach Durchschnitt. Das Normale glänzt durch Abwesenheit großer Überraschungen, es glitzert und flirrt nicht. Normalität lässt sich nur schwer posten, und wenn man es doch tut, interessiert es niemanden. Normalität ist eine Frage von allgemeinen Vorschriften, aber auch eine Frage von Messwerten, statistischen Häufigkeiten, Gewohnheiten. Das erklärt, warum die Toleranz für Abweichungen in einigen Bereichen zunimmt, während sie gleichzeitig in anderen gegen null tendiert. So verbreitet das Reden über Normalität im Alltag ist, so kompliziert ist deren Definition im Detail. Oder, wie der Soziologe Gerhard Schulze sagt: „Es gibt kaum etwas Schwierigeres als eine Theorie des Normalen.“ Wir haben also wirklich etwas enorm Außergewöhnliches erschaffen und das Normale in sein eigenes Gegenteil verkehrt. Jetzt ist nur die Frage, ob wir da wieder rausfinden (wollen) – ohne zu echten Spießern zu werden. Vielleicht hören wir einfach mal auf – nur für einen Moment – uns selbst bei all dem, was wir tun, zu beobachten und den Ausstellungswert unserer Handlungen abzuschätzen. Vielleicht spüren wir dann, dass es so etwas wie Normalität überhaupt nicht gibt und dass das, was wir dafür halten, ein kostbarer Sonderfall unseres modernen Lebens ist: die selten gewordene Tatsache, dass Dinge einfach ihren Lauf haben, dass wir damit kein Problem haben, dass es ist, wie es ist, und wir auch gar nicht viel verändern würden, selbst wenn wir es könnten. Normalität ist eben alles andere als normal. Und so sollten wir sie hin und wieder einfach mal genießen, statt sie zu bekämpfen. Denn eins ist sicher: Die nächste Störung unseres ach so ruhig dahin plätschernden Lebens kommt bestimmt, ob wir wollen oder nicht.

Redaktion und Gestatung:
Julia Albrecht, Rebecca Camen, Kira Conze, Marcel Diedrich, Angelina Gergenreder,
Farina Hannemann, Rieke, Hartwig, Melina Kuczka, Lea Lee, Insa Lügger, Sven Maschulla, Viktor Zumegen